Anbei veröffentlichen wir einen Artikel unserer portugiesischen Genossen von Esquerda Revolucionária aus dem Jahr 2024 anlässlich des 50. Jahrestages der portugiesischen Revolution, bekannt geworden als „Nelkenrevolution“, die 1974 das Regime des Estado Novo, begründet durch Antonio de Oliveira Salazar, hinwegfegte.

 

Die portugiesische Revolution 1974 hat den Kapitalismus in die Schranken gewiesen. Das portugiesische Proletariat und die unterdrückten Massen waren der Machtergreifung sehr nahe. Aber keine Revolution darf halbherzig sein. Im November 1975 gelang es der herrschenden Klasse, ihre Ordnung wiederherzustellen, und in den folgenden Jahrzehnten versuchte sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, die Arbeiterklasse in eine vollständige historische Apathie zu versetzen. Ihre Erfolge dabei können aber nur vorübergehend sein.

Der Kapitalismus steckt heute erneut in einer Krise, deren Ende nicht abzusehen ist, und seine Institutionen sind in den Augen der Massen zunehmend diskreditiert. Die großen Versprechungen von Wohlstand und endloser Entwicklung haben sich in eine Realität von Angriffen auf demokratische Rechte, Sexismus, Rassismus, Armut, Krankheit, Krieg und Umweltzerstörung verwandelt.

Die Arbeiter und Jugendlichen weigern sich, diesen Abstieg in die Barbarei fortzusetzen, und erheben sich gegen die bürgerlichen Regierungen eines Landes nach dem anderen. Der Sozialismus wird wieder zur Perspektive einer ganzen Generation, und wie 1974-75 in Portugal erscheint er nicht als Utopie oder moralisches Ideal, sondern als objektive Notwendigkeit, als konkrete Antwort auf die durch die kapitalistische Dekadenz verursachten Probleme. Die Lehren aus dieser Revolution zu ziehen, ist daher nicht nur eine Übung in historischer Erinnerung, sondern eine grundlegende Aufgabe, um das Handeln der Revolutionäre heute zu leiten.

Der portugiesische Kapitalismus in der Sackgasse

Obwohl in vielerlei Hinsicht ein äußerst rückständiges Land, befand sich Portugal in den 1970er-Jahren in der höchsten Phase des Kapitalismus – dem Imperialismus –, in der die Wirtschaft von Monopolen beherrscht wird und Industrie- und Bankkapital miteinander verschmelzen, wodurch das Finanzkapital mit seinem parasitären und spekulativen Charakter entsteht.

Das Land wurde von sieben Familien kontrolliert. Zu Beginn der Siebziger Jahre hielten die sieben größten Banken 83 % aller Einlagen und Geschäftsportfolios, und 0,4 % der Unternehmen konzentrierten 53 % des gesamten Kapitals des Landes. Im Jahr 1972 waren 16,5 % der Unternehmen für 73 % der portugiesischen Industrieproduktion verantwortlich. Allein die Gruppe Companhia União Fabril (CUF), die größte Finanzgruppe, besaß mehr als 100 Unternehmen in allen Wirtschaftszweigen.

Der staatliche Schutz bestimmter Wirtschaftszweige durch die Regulierung der Produktionstätigkeit und des Wettbewerbs wurde jedoch insbesondere ab den 1960er-Jahren zu einem Hindernis für die freie Entfaltung dieser Monopole. Das Regime sah sich mit einem unauflösbaren Widerspruch konfrontiert: Es konnte die großen Wirtschaftsriesen nicht begünstigen, ohne einen wesentlichen Teil seiner sozialen Basis im Kleinbürgertum und sogar in den unteren Schichten der Bourgeoisie zu verlieren.

Ebenso wurde die bis dahin von der portugiesischen Bourgeoisie verfolgte autarke, auf den nationalen Rahmen beschränlte Politik zu einem Hindernis für die Monopole. Die Entwicklung des Kapitalismus verband die nationale Wirtschaft zunehmend mit dem Weltmarkt. Der Teil der Bourgeoisie, der die Konkurrenz des ausländischen Kapitals fürchtete und von den Hindernissen für ausländische Investitionen profitierte, prallte auf den Teil, der an einer Stärkung der Beziehungen zum europäischen imperialistischen Kapital interessiert war.

Zwischen 1970 und 1973 stiegen die Auslandsinvestitionen von 826 Milliarden Escudos auf 2,7 Billionen. Das portugiesische Großkapital, das wie jedes Kapital nach unendlicher Expansion strebt, stößt jedoch an die Grenzen der stagnierenden und sogar schrumpfenden Binnen- und Kolonialmärkte. Die Märkte der fortgeschrittenen europäischen Länder waren die einzige Möglichkeit, den Prozess der Akkumulation fortzusetzen. Das waren die Gründe für den Beitritt Portugals zur EFTA [1] im Jahr 1960.

Dieser Widerspruch wurde durch die „Kolonialfrage“ noch verschärft. Der reaktionärste Teil der Bourgeoisie träumte vom ewigen Kolonialismus. Der liberale Flügel hingegen sah klar, wie unrealistisch eines solcher Traum war, vor allem durch die Kosten eines langwierigen Krieges gegen die Unabhängigkeitsbewegung in den Kolonien. Im Jahr 1973 verschlang der Kolonialkrieg, der zwölf Jahre zuvor begonnen hatte, mehr als 40 % des öffentlichen Haushalts und wurde zu einem gigantischen Hindernis für die Akkumulation von Kapital und Investitionen.

Es ist anzumerken, dass der liberale Flügel selbst unter diesen Umständen nicht in der Lage war, für eine Unabhängigkeit der Kolonien einzutreten. Die gesamte Bourgeoisie fürchtete den Verlust der kolonialen Märkte und vor allem die Auswirkungen, die der Sieg der Revolutionen in Afrika auf die ausgebeuteten Massen in Portugal haben könnte.

Die selbsternannten Liberalen träumten von einem portugiesischen Commonwealth, das die kolonialen Märkte erhalten und entwickeln sollte. Kurz gesagt, sie wollten den Kolonialismus mit seiner direkten und groben militärischen Besatzung durch einen Neokolonialismus ersetzen, der sich hinter nationalen Unabhängigkeiten versteckt, die die Interessen des portugiesischen Kapitals nicht berühren würden.

Die grundlegende Übereinstimmung zwischen den beiden Flügeln der Bourgeoisie bestand nicht nur in der Politik gegenüber den afrikanischen Völkern, sondern auch gegenüber der portugiesischen Arbeiterklasse. Beide Flügel hatten sich für ein „Entwicklungsmodell“ entschieden, das auf der Unterdrückung der Arbeiterbewegung und niedrigen Löhnen beruhte. Das erklärte auch das Desinteresse der portugiesischen Kapitalisten an Investitionen in Maschinen und Technologie, das durch die Angst vor einer plötzlichen Öffnung des nationalen Marktes für ausländisches Kapital, welcher mit seiner Technologie eine viel höhere Produktivität der Arbeitskräfte erreichte, noch verstärkt wurde.

Schließlich sank die Profitrate in der Industrie vor dem Hintergrund einer weltweiten Krise des Kapitalismus, was die produktiven Investitionen reduzierte. Zwischen 1966 und 1969 sank das Wachstum der produktiven Investitionen in Portugal von 17,3 % auf 0,9 %. 1971 reagierte die Weltbourgeoisie mit der Auflösung des Währungssystems von Bretton Woods, das durch den Goldstandard ein Hindernis für die Spekulation darstellte, die notwendig war, um die sinkenden Industrieprofite zu kompensieren, und löste damit eine weltweite Finanzkrise aus, die durch die Ölkrise von 1973 noch verschärft wurde.

So wurde immer mehr Kapital in die Finanzspekulation gelenkt. In den ersten fünf Monaten des Jahres 1973 stiegen die Aktienkurse so stark wie in den vorangegangenen sieben Jahren, wobei ihr nominaler Wert 32 mal höher war als ihr realer Wert. Die Inflation stieg auf 19,2 % an. Der Kapitalismus war in die größte Überproduktionskrise der Nachkriegszeit geraten.

Die Arbeiterklasse erhebt sich

Zu Beginn des Jahres 1974 war die soziale Basis des Regimes völlig ausgehöhlt. Wie bereits erwähnt, ist die Bourgeoisie gespalten und gelähmt. Das Kleinbürgertum wird nicht nur durch die fortschreitende Wirtschaftskrise proletarisiert, sondern verliert auch noch seine Söhne in einem Krieg, von dem immer deutlicher wird, dass er verloren ist. Die Arbeiterklasse schließlich, die die meisten Menschenleben für den Krieg opferte, hatte sprichwörtlich nichts zu verlieren außer ihre Ketten.

Der 25. April 1974 schließlich zeigte, wie isoliert das Regime bereits war. Als die Chaimiten [2] der MFA (Movimento das Forcas Armadas, in etwa „Bewegung der Streitkräfte“) die Kaserne von Carmo umzingelten und die Kapitulation des Diktators Marcelo Caetano forderten, fiel das Regime wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Doch die Massen applaudierten nicht nur der militärischen Opposition der MFA. Durch ihre Mobilisierung sorgten sie nicht nur für den fast sofortigen Erfolg des Putsches, sondern gingen noch viel weiter. Die ständigen Aufrufe der MFA-Offiziere, zu Hause zu bleiben, nutzten wenig. Innerhalb weniger Stunden überwanden die Arbeiter das Programm der MFA, das sich darauf beschränkte, ein Ende des Krieges und ein „demokratisches“ System zu fordern, das die wirtschaftliche Macht der Monopole jedoch nicht antastete. Ihre Illusion, dass man mit einem chirurgischen Militärputsch vom Faschismus zu einer bürgerlich-parlamentarischen, kapitalistischen Demokratie übergehen könne, wurde durch die Massen beinahe sofort zerschlagen.

Für die Arbeiter und Jugendlichen, die für den Sturz des Faschismus auf die Straße gingen, bedeutete Freiheit weit mehr als das Recht, alle vier Jahre zu wählen, welcher Vertreter der herrschenden Klasse ihre Ausbeutung organisieren sollte. Freiheit war das Ende der Ausbeutung. Jetzt, da die repressive Struktur des Estado Novo [3] in Trümmern lag, jetzt, da die Arbeiterklasse das Gefühl hatte, dass das Militär auf ihrer Seite stand, war es an der Zeit, sich diese Freiheit zu nehmen.

Hausbesetzungen begannen um sich zu greifen, ein Kampf, der in den Elendsvierteln der Industriegürtel von Lissabon, Setúbal und Porto begann und sich während der gesamten Revolutionszeit ausweitete und intensivierte. Um den Kampf um Wohnraum zu organisieren, wurden Nachbarschaftskommissionen gebildet, die ersten Organe der proletarischen Macht, die die Strukturen eines plötzlich aus der Luft gegriffenen, neuen bürgerlichen Staates in Frage stellten.

In den ersten Tagen der Revolution begann auch die größte Streikwelle in der Geschichte Portugals. In allen Betrieben entlud sich die angestaute Wut gegen die Anhänger des alten Regimes. Es wurde die Säuberung von Faschisten in allen Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung gefordert. Sie verlangten die Einführung eines nationalen Mindestlohns in Übereinstimmung mit der Inflation, einen 8-Stunden-Arbeitstag, das Recht auf Wochenenden, bezahlten Urlaub und Weihnachtsgeld. Sie forderten gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das Recht auf Wohnung, Gesundheit und Bildung. Wenn ein Chef nicht einlenkte, wurde sein Unternehmen unter die Kontrolle der Arbeiter gestellt.

Mit dieser ersten Offensive der jungen portugiesischen Arbeiterklasse wurden wichtige Siege errungen. Ohne den alten Repressionsapparat hatten die Bosse keine Möglichkeit, zu reagieren. Die von den Kapitalisten installierte Erste Provisorische Regierung verlor die Kontrolle über die Situation und stürzte in weniger als zwei Monaten. Ihr präsidialistisches und neokoloniales Projekt, das darauf abzielte, die Macht in die Hände von General Spinola zu legen, der durch den Staatsstreich des MFA zum Präsidenten der Republik aufgestiegen war, wurde vollständig zerschlagen. Und auch das Leben der Zweiten Regierung wurde nicht einfacher.

Währenddessen machte die Organisation des Proletariats Fortschritte. Überall entstehen Organe der Arbeitermacht. Nachbarschaftsausschüsse in den Bezirken, Arbeiterausschüsse in den Betrieben, Gewerkschaften und Gewerkschaftsausschüsse für die Arbeiter in den Städten und auf dem Land. Die wichtigsten Linksparteien, die Sozialistische Partei (PS) und die Portugiesische Kommunistische Partei (PCP), werden durch den Einbruch der Arbeiterklasse in das politische Leben des Landes zu Massenorganisationen.

Zwischen dem 25. April 1974 und dem 25. November 1975 stiegen die Mitgliederzahlen der PS und der PCP von einigen Hundert oder einigen Tausend auf etwa 60.000 bzw. 100.000, was einem durchschnittlichen wöchentlichen Zuwachs von 2.000 Mitgliedern entspricht! Die Arbeiterklasse war in den Gewerkschaften, in den Parteien, bei den Demonstrationen und Versammlungen; sie las, debattierte, hinterfragte; sie ging – oder besser rannte – auf eine entscheidende Konfrontation mit dem Kapitalismus zu.

Die Peitsche der Konterrevolution

Als die herrschende Klasse erkannte, dass die Integration der reformistischen Führungen der linken Parteien in ihre Pläne nicht ausreichte, um die Bewegung zu stoppen – trotz aller erdenklichen Bemühungen dieser Führungen –, versuchte sie die Mittelschichten zu mobilisieren. Spinola begann eine Kampagne gegen die „Linkswende“ der Revolution und rief die „schweigende Mehrheit“ auf, ihre Stärke auf der Straße zu zeigen. Für den 28. September wurde zu einer „friedlichen“ Demonstration zur Unterstützung von Präsident Spinola aufgerufen. Ziel war es, gewaltsame Zusammenstöße zu provozieren und die Ausrufung des Belagerungszustandes zu rechtfertigen, der alle Macht in die Hände des Präsidenten legen sollte.

Die Aktion war ein Fehlschlag. Nicht nur, dass die Mehrheit des Kleinbürgertums nicht auf den Aufruf reagierte, sondern das Proletariat legte das wahre Kräfteverhältnis offen. Die Eisenbahner und Lokführer weigerten sich, Demonstranten zu transportieren. Die linken Parteien und die Intersindical [4] riefen die Arbeiter erst am Vortag dazu auf, Widerstand gegen diese Pläne zu leisten, doch trotz dieser Verzögerung reagierte die Arbeiterjugend sofort und errichtete Barrikaden.

In den frühen Morgenstunden des 28. September gingen in Lissabon und Porto Zehntausende von Arbeitern gegen den so geplanten faschistischen Putsch auf die Straße. Ihre Reaktion war so stark, dass sie die Soldaten hinwegfegte. Schon Marx hat erklärt, dass die Revolution, um voranzukommen, zuweilen die Peitsche der Konterrevolution braucht. Dieser Fauxpas der Bourgeoisie kostete sie den Sturz der Zweiten Provisorischen Regierung, den Rücktritt Spinolas, die Ausweisung der ranghöchsten Offiziere und vor allem eine sprunghafte Radikalisierung der Volksmassen.

Das schlug sich jedoch nicht in einer strukturellen Änderung der Politik der MFA nieder, die als klassenübergreifende Bewegung zwischen den verschiedenen Klassen schwankte. Die Dritte Provisorische Regierung blieb unfähig, Antworten auf die fortschreitende Wirtschaftskrise zu geben, weil sie sich ebenso weigerte, „die Produktionsverhältnisse in den westeuropäischen Ländern in Frage zu stellen.“ [5] Doch genau diese Möglichkeit hätte sich der MFA mit der Beschleunigung der Revolution geboten!

Als die Revolution an Fahrt aufnahm, wurde der „Melo-Antunes-Plan“ vorgelegt, ein von PS und PCP unterstützter Dreijahresplan, der nicht mehr als eine zaghafte Nachahmung der sozialdemokratischen Programme im Nachkriegs-Frankreich oder -Italien war. Während die PCP die Arbeiter zu einem „Sonntag der Arbeit“ aufrief, setzte die Bourgeoisie auf wirtschaftliche Sabotage. Einmal mehr würde die Antwort nicht von den reformistischen Führungen der Arbeiterparteien, sondern von der großartigen Bewegung der Arbeitermassen selber kommen.

Im Dezember waren es dann die Großgrundbesitzer, die die Peitsche der Konterrevolution schwangen: Sie versuchten, die Revolution durch Hunger zu besiegen, da die Waffen versagt hatten, und sperrten die Felder für die Arbeiter. Als Reaktion darauf begannen die ersten Landbesetzungen.

Zur gleichen Zeit brach die zweite Welle von Kämpfen zur Verteidigung der Errungenschaften vom Mai-Juli 1974 aus – demokratische Freiheiten, der nationale Mindestlohn, der 8-Stunden-Tag, das Wochenende, das Recht auf Scheidung usw. –, die die Arbeitgeber nicht akzeptieren wollten. Die Besetzungen von Häusern und Grundstücken nahmen zu. In den Betrieben antworteten die Arbeiter mit der Arbeiterkontrolle und forderten die Verstaatlichung.

In ihrer zunehmenden Verzweiflung konnte die Bourgeoisie der Regierung nicht mehr vertrauen und wartete nun stattdessen auf die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung. Inspiriert durch einen Rechtsruck in der Führung der MFA und mit Unterstützung der Hochfinanz wollte Spinola die Armee gegen einen imaginären Staatsstreich mobilisieren, den die PCP angeblich auf Anweisung Moskaus vorbereitete; das „Ostermassaker“, wie der General es nannte.

Diese Verschwörung diente als Rechtfertigung für einen neuen reaktionären Putschversuch am 11. März 1975, der noch demütigender als der vom 28. September 1974 scheiterte. Dieser neue Versuch der Rechten stieß auf eine vernichtende Reaktion der Arbeiterklasse. Im ganzen Land kam es zu Massenmobilisierungen, und die Putschisten waren gezwungen, in den spanischen Staat zu fliehen.

Die Bankangestellten traten in den Streik, besetzten die Büros und forderten ihre Verstaatlichung. Das Gleiche geschah in Dutzenden von Unternehmen, darunter bei der CUF, der Post und im Transportwesen. In dem Bewusstsein, dass sie ein Erfolg des Putsches das Leben gekostet hätte, und angetrieben von einer breiten Bewegung, säuberten die linken Offiziere die Armee von den Rechten, verhafteten die Putschisten und änderten in der so genannten „Wilden Versammlung“ die Struktur der MFA, indem sie den „Rat der Revolution“ schufen, der „den revolutionären Prozess in Portugal leiten und durchführen“ sollte. Mit der Verstaatlichung des Banken- und Versicherungswesens befanden sich nun mehr als 70 % der Wirtschaft in den Händen des Staates. Endlich erklärte die MFA, dass das Ziel der Revolution der Sozialismus sei!

Eine Klasse ohne revolutionäre Führung

Nach der Niederlage vom 11. März zeigte sich die tiefe Niedergeschlagenheit der Weltbourgeoisie in dem berühmten Leitartikel der Times: „Der Kapitalismus ist in Portugal tot“. Die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung bestätigten die Vorherrschaft der Linken. Das Kräfteverhältnis war derart, dass alle Parteien, die Abgeordnete gewannen, die Verteidigung einer klassenlosen Gesellschaft gelobten, sogar die PPD (jetzt PSD) und die CDS!

Der Kapitalismus schien de facto dem Untergang geweiht zu sein.

Wie war er zu retten? Als die Bourgeoisie keine eigenen Mittel mehr hatte, um die Revolution niederzuschlagen, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Mittel des Proletariats einzusetzen: Der Kapitalismus wurde in Portugal durch die Politik der Führer der wichtigsten linken Organisationen gerettet, PS und PCP. Die so genannte revolutionäre Linke wiederum gab sich dem Sektierertum und den sterilsten Wankelmütigkeiten hin, unfähig, eine Politik zu verfolgen, die die Basis der Sozialistischen und Kommunistischen Partei für sich gewinnen würde, und verbündete sich mehrfach sogar mit der Rechten gegen beide linken Massenparteien.

Die Arbeiter, die ganze Stadtviertel besetzten, die Arbeiterkontrolle auf Hunderte von Betrieben ausdehnten und den Grundbesitz in Besitz nahmen, waren dieselben, die massenhaft der PS und der PCP beitraten, dieselben, die der PS - der Partei des „Sozialismus in Freiheit“ - den Sieg in der verfassungsgebenden Versammlung schenkten, dieselben, die die Führung ihrer Gewerkschaften und Kommissionen diesen Parteien anvertrauten. Und die revolutionäre Linke hat sich ohne irgendeine Form der Einheitsfrontpolitik mit diesen Arbeitern in die Bedeutungslosigkeit ergeben.

Von Beginn des revolutionären Prozesses an verfolgten die Führungen von PS und PCP eine Politik des Bündnisses mit der Bourgeoisie, die sich in ihrer Unterstützung und Beteiligung an der von den Spinolisten dominierten Ersten Provisorischen Regierung zur Durchführung der „demokratischen und nationalen Revolution“ manifestierte. Der Sozialismus wurde der fernen Zukunft überlassen, und wer ihn in der Gegenwart forderte, wurde des „Abenteurertums“, des „Überspringens von Etappen“, des Spielens in die Hände der Reaktion beschuldigt.

In allen entscheidenden Momenten ging es den Reformisten in erster Linie darum, ihr Bündnis zwischen den Klassen um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Der beste Repräsentant dieses Bündnisses war die MFA selbst, dessen Basis aus Soldaten – uniformierten Arbeitern und Bauern – bestand und das von bürgerlichen und kleinbürgerlichen Offizieren dominiert wurde.

Um ihr Bündnis mit der MFA aufrechtzuerhalten, haben die linken Parteien nie die unabhängige Organisation der Soldaten verteidigt oder sie organisch mit den Organen der Arbeitermacht – den Arbeiter- und Nachbarschaftsräten – verbunden, d.h. sie haben sich nie für eine echte Demokratisierung der Armee unter der Kontrolle der Arbeiterklasse eingesetzt.

Im Sommer 1975, als alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, setzte die Bourgeoisie auf die PS, die aus den Wahlen zur Konstituante als Siegerin hervorging. Die Partei intensiviert daraufhin ihre heftige antikommunistische Kampagne. Obwohl die PCP beschuldigt wird, eine „kommunistische Diktatur“ errichten zu wollen und im Norden des Landes sogar unter Bombenanschlägen zu leiden hat, rief ihre Führung lediglich zur Wiederherstellung des Regierungsbündnisses und zur „Einheit der MFA“ auf.

Aber der „Sozialismus“, den die MFA-Offiziere aufzubauen vorgaben, hatte nichts mit dem echten Sozialismus zu tun, mit der proletarischen Macht, die sich auf die Räten der Nachbarn, der Arbeiter und der Soldaten stützt. Nein. Der „Sozialismus“ der MFA wurde von der militärischen Führung des Revolutionsrates geführt, er war nichts anderes als Bonapartismus. Die Unterstützung der PCP für diesen Bonapartismus sui generis der MFA und seine bekannten Verbindungen zu den stalinistischen Regimen gaben der antikommunistischen Propaganda der PS Auftrieb und hatten einen enormen Einfluss auf eine Arbeiterklasse, die gerade eine Diktatur von fast einem halben Jahrhundert hinter sich gelassen hatte.

Das Proletariat verfügte über keine wirklich revolutionäre Partei und somit auch nicht über das Instrument zur Machtergreifung. Das Kleinbürgertum, das der monatelangen Revolution überdrüssig war, schaute zunehmend wohlwollend auf die PS und schätzte die Opposition von Mário Soares gegen das, was er als „anarchopopulistische Strategie“ bezeichnete. Als schließlich eine Gruppe von Offizieren den Staatsstreich vom 25. November organisierte, um die „Demokratie zu normalisieren“, ging es der PCP und der CGTP in der Praxis nur darum, sicherzustellen, dass sie im neuen Regime legal bleiben würden. Den kommunistischen Aktivisten wurde geraten, „mit Vertrauen in die Zukunft“ nach Hause zu gehen.

Nach diesem Verrat durch die politischen Führungen der Arbeiterparteien und dem damit besiegelten Ende der Revolution erlebte die portugiesische Arbeiterklasse mehr als vier Jahrzehnte der „Freiheit“ in der bürgerlichen Demokratie. In diesen vier Jahrzehnten erlebte sie die Demontage aller Errungenschaften der Revolution.

Deshalb ist unter den Lehren, die aus der portugiesischen Revolution von 1974-75 zu ziehen sind, eine besonders hervorzuheben: die Notwendigkeit, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die der Aufgabe der Machtergreifung gewachsen ist, die die Revolution nicht halbfertig zurücklässt. Denn heute wie vor einem halben Jahrhundert führen die Widersprüche des Kapitalismus zu Krisen und revolutionären Explosionen, und der Sozialismus bleibt die einzige Lösung, um uns von der Barbarei dieses Systems zu befreien.

 

Anmerkungen:

[1] Englisches Akronym für die Europäische Freihandelsassoziation, die von Großbritannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, der Schweiz und Österreich gegründet wurde.

[2] Gepanzerte Fahrzeuge, die von der portugiesischen Armee in den Kolonialkriegen eingesetzt wurden.

[3] „Neuer Staat“, Name des diktatorischen faschistischen Regimes, das Portugal von 1933 bis 1974 regierte.

[4] Allgemeiner Verband der portugiesischen Arbeiter, CGTP-IN, die wichtigste portugiesische Klassengewerkschaft, politisch geführt von der PCP.

[5] Worte von Melo Antunes, Minister im portugiesischen Außenministerium.

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