Mehr als 24 Tage lang hielt der so genannte „Freiheitskonvoi“ die kanadische Hauptstadt Ottawa besetzt und blockierte den wichtigsten Grenzübergang zu den USA. Hunderte von Lastwagen und etwa 5.000 Demonstranten legten die Stadt lahm, umzingelten das Parlament und erzwangen die Schließung von Schulen, Kliniken und Geschäften, wodurch der normale Betrieb in der Stadt unterbrochen wurde.

In vielen Medien wurde der Konvoi als Protest von Lastwagenfahrern und Arbeitern gegen die von der Regierung beschlossenen Impfmaßnahmen dargestellt und es wurde sogar von einem „Aufstand der Arbeiterklasse“ gesprochen.

Diese Lastwagen-Karawane war keine Arbeiterbewegung. Es handelte sich dabei um Unternehmer und Kleingewerbetreibende im Straßenverkehrssektor, also um genau die Unternehmen, die während der Pandemie von der staatlichen Finanzhilfe profitierten.

Die massive Präsenz von Konföderierten- und Naziflaggen, die begeisterte Unterstützung für Donald Trump oder Ted Cruz, dem reaktionären Senator aus Texas, und anderen prominenten Führern der extremen Rechten zeigen, was der wahre Klassencharakter des Protests war. Ihr „demokratischer“ Charakter wurde deutlich, als die Anführer der Konvoi öffentlich erklärten, dass es ihr Ziel sei, die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen und durch eine Militärjunta zu ersetzen.

Ein ultrarechter Protest

Der Protest begann mit einem Aufruf in den sozialen Medien über eine GoFundMe-Seite, der von Tamara Lichn, der Vorsitzenden der Maverick Party, einer kleinen rechten Organisation in der kanadischen Provinz Alberta, angeführt wurde.

Über diese Seite hat sie mehr als 8 Millionen Dollar zur Finanzierung des Konvois gesammelt. Die überwiegende Mehrheit dieser Beiträge, die im Einzelnen teilweise in Millionenhöhe gehen, stammt von der extremen Rechten in den USA. Zu den Organisatoren gehörte auch die Gruppe Action4Canada, die die Verschwörungstheorie vertritt, dass der Impfstoff einen Mikrochip enthält, um Menschen zu kontrollieren.

Ein weiterer prominenter Ideologe auf der Demonstration war James Bauder, Leiter von Canada Unity und Anhänger der ultrarechten Sekte QAnon, die behauptet, die Pandemie sei eine Verschwörung gegen Trump und seine Anhänger. Sie unterstützen offen den Faschismus und die „weiße Vorherrschaft“.

Die Organisatoren beabsichtigten, 50.000 Lastwagen und Hunderttausende von Menschen zu mobilisieren. Am Ende nahmen etwa 1.000 Lastwagen und zwischen 8.000 und 10.000 Personen teil. Obwohl das Ergebnis weit vom ursprünglichen Ziel entfernt ist, handelt es sich um nicht unerhebliche Zahlen, die nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Es handelte sich auch nicht um einen friedlichen Protest: Während der 24-tägigen Besetzung Ottawas haben die Teilnehmer Anwohner schikaniert, Obdachlose angegriffen und Personal in Krankenhäusern und Impfzentren belästigt.

Die Proteste richteten sich gegen die von der kanadischen Regierung verabschiedeten neuen Vorschriften, die seit dem 15. Januar die gesundheitlichen Anforderungen für den Grenzübertritt in die USA verschärfen und unter anderem einen vollständigen Impfschutz vorschreiben.

Es ist sehr aufschlussreich, wie wenig dieser Protest die Masse der kanadischen Lkw-Fahrer wirklich repräsentiert hat, von denen 90 % geimpft sind und somit die Anforderungen erfüllen.

Dass der „Freiheitskonvoi“ nichts mit einem gewerkschaftlichen Protest oder der Verteidigung der Rechte von Lkw-Fahrern zu tun hatte, zeigt sich auch daran, dass sich die Organisatoren und Teilnehmer zu den Arbeitsproblemen der Fahrer völlig ausschweigen. Sie sagten nichts zu den langen Arbeitszeiten, den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen, den Lohnkürzungen oder der Situation der zugewanderten Lkw-Fahrer, die ein Drittel der Beschäftigten in diesem Sektor ausmachen und besonders ausgebeutet werden.

In Kanada und anderen Ländern haben sich die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer in den letzten Jahrzehnten verschlechtert, sie arbeiten länger für weniger Lohn. Im kanadischen Fall haben die Arbeitnehmer des Sektors nicht einmal eine eigene Gewerkschaft, die sie vertritt, sondern werden von Verbänden „vertreten“, die die Unternehmenseigentümer mit den Selbstständigen verbinden und sie der Gnade der Arbeitgeber ausliefern.

Jugendliche und Arbeiter mobilisieren gegen die Karawane

Der „Konvoi der Freiheit“ erregte nur anfangs eine gewisse Sympathie in der Bevölkerung, doch sobald der Klassencharakter des Protests deutlich wurde, wandte sich die Stimmung gegen sie. Laut einer Angus Reid-Umfrage, die drei Tage nach Beginn der Besetzung Ottawas veröffentlicht wurde, waren 69 % der Bevölkerung gegen die Proteste, 72 % waren der Meinung, dass sie nach Hause gehen sollten, und 68 % befürworteten eine gewaltsame Räumung ohne Verhandlungen. Das bedeutet nicht, dass die Regierung große Unterstützung genießt; dieselbe Umfrage ergab, dass mehr als 50 % der Meinung sind, dass die Politik der Regierung für die Situation verantwortlich ist.

Angesichts der Untätigkeit der linken Parteien und Gewerkschaften kam es in den wichtigsten Städten des Landes schnell zu spontanen Protesten und Demonstrationen gegen die Besetzung, an denen Tausende von Menschen teilnahmen. Zu den bemerkenswertesten Ereignissen gehörte die so genannte Schlacht an der Billings-Brücke, als es den Demonstranten gelang, einen Lkw-Konvoi mit 35 Fahrzeugen an der Einfahrt nach Ottawa zu hindern, wo sie sich den Protesten der Rechten anschließen wollten.

Während der wochenlangen Auseinandersetzungen waren die Regierung von Premierminister Justin Trudeau (Liberale Partei) sowie die lokalen und regionalen Behörden praktisch gelähmt. Die Untätigkeit der Regierung spiegelte auch die Spaltung der herrschenden Klasse in der Frage wider, wie mit dem Thema umzugehen sei. Es scheint, dass ein Teil der kanadischen Kapitalisten die Proteste mit dem Ziel unterstützte, die Regierung Trudeau zu destabilisieren, die über keine parlamentarische Mehrheit verfügt und von anderen Parteien abhängig ist, um an der Macht zu bleiben.

Schließlich hat die Regierung beschlossen, das Notstandsgesetz zu aktivieren, das bis zum 24. Februar in Kraft war. Es erlaubt der Regierung, demokratische Rechte auszusetzen, Demonstrationen und Versammlungen zu verbieten und die Bankkonten von Organisationen einzufrieren, die für die Störung der „öffentlichen Ordnung“ verantwortlich sind. Es versorgt die Polizei mit Ausrüstung und Werkzeugen zur „Wiederherstellung der Ordnung“. Es sieht außerdem Geldstrafen von bis zu 5.000 Dollar für diejenigen vor, die gegen das Gesetz verstoßen, sowie Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.

Mit der Umsetzung dieses Gesetzes wurden die Beweggründe und Absichten der Regierung überdeutlich. Dass sie nach wochenlangem Nichtstun beschloss zu handeln, genau in dem Moment, als die Straßenproteste gegen die „Freiheitskarawane“ immer stärker wurden, lässt keinen Zweifel aufkommen. Es ist klar, dass es eine Sache ist, mit ein paar tausend Faschisten umzugehen, die ein Stadtzentrum besetzen oder einen Grenzübergang blockieren, und eine ganz andere, wenn die Arbeiterbewegung und die Jugend auf der Straße mobilisiert werden, um die Situation selbst in die Hand zu nehmen.

Die Notstandsgesetze konnten nicht nur gegen die Teilnehmer des Konvois eingesetzt werden, sondern auch und wie immer insbesondere gegen diejenigen, die an Protesten und Demonstrationen gegen die Faschisten teilnahmen oder diese organisierten.

Kollaboration von Polizei und Armee mit der extremen Rechten

Die Sympathien, die die Karawane bei der Polizei und der Armee weckte, waren ebenfalls deutlich zu erkennen. Gegenüber den Faschisten gab es nur Höflichkeit, Lachen und gute Worte, bis sich die Polizei schließlich gezwungen sah, die Blockaden zu beenden, damit die Bewegung gegen die Karawane nicht weiter wachsen würde.

Diese Haltung stand im Gegensatz zu der Feindseligkeit gegenüber den Jugendlichen und Arbeitern, die sich diesen Reaktionären entgegenstellten, was einmal mehr die Doppelmoral im Umgang mit den Demonstranten zeigt.

Das gleiche Vorgehen der kanadischen Repressionskräfte war 2010 bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Toronto zu beobachten oder bei der Polizeigewalt, die in den letzten zwei Jahren gegen die von den kanadischen Ureinwohnern organisierten Mobilisierungen eingesetzt wurde.

In fast allen Ländern ist die extreme Rechte eng mit der Polizei und dem Militär verbunden. Im vergangenen Dezember hieß es in einem Bericht der kanadischen National Security and Intelligence Agency, dass weiße Rassisten und Neonazis innerhalb des kanadischen Militärs eine „aktive Bedrohung“ darstellen und dass die Behörden „nur begrenzt in der Lage“ seien, sie zu identifizieren. Hochrangige Militärbefehlshaber gaben zu, dass sie über die Unterstützung für die Karawane innerhalb der Spezialeinheiten besorgt sind und mussten sogar ein internes Rundschreiben an ihre Soldaten versenden, indem sie sie zur politischen Neutralität aufforderten.

Mit einer revolutionären Politik die extreme Rechte besiegen

Die Demonstranten des „Konvois für die Freiheit“ haben zwischen dem 12. und 16. Februar alle Grenzblockaden verlasse und ihre Proteste in Ottawa am 23. Februar beendet.

Diese Episode war ein weiteres Zeichen dafür, dass der Aufstieg der extremen Rechten in Nordamerika oder Europa eine ernste Warnung für die Arbeiterbewegung ist und die Tatsache, dass die Linke und die Gewerkschaften sich weigern, einen ernsthaften und direkten Kampf gegen den Faschismus zu organisieren, gibt ihnen Selbstvertrauen.

In den USA organisierte die extreme Rechte, ermutigt durch die kanadischen Ereignisse, die „Karawane des Volkes“, die darauf abgezielt hat, Washington zeitgleich mit der ersten Rede von Joe Biden zur Lage der Nation zu besetzen. Sie haben jedoch nicht die erwarteten Ergebnisse erzielt und mussten die Kolonnen wegen mangelnder Teilnehmerzahl aussetzen.

Die politische Polarisierung auf der linken und rechten Seite, die die Welt erfasst hat, wirkt sich auch deutlich auf Kanada aus, das bis vor kurzem ein Beispiel für Stabilität war. Und wie in anderen Teilen der Welt ebnet die Untätigkeit der institutionalisierten Linken und ihre Kollaboration mit der antisozialen Politik der Regierung, in diesem Fall der Rechten, und mit ihrem katastrophalen Umgang mit der Pandemie den Weg für die Demagogie der extremen Rechten.

Es ist notwendig, dass die kämpferische Linke eine Alternative aufstellt, die mit der kapitalistischen Politik bricht, die die Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung immer weiter verschlechtert.

Nur durch Kampf und Mobilisierung und mit einem revolutionären Programm, das der Diktatur des Kapitals ein Ende setzt, werden wir in der Lage sein, überall auf der Welt die extreme Rechte zu besiegen, die sozialen Rechte, die uns genommen wurden, zurückzuerlangen und neue zu gewinnen.

Kontakt

Organisier Dich Sidebar neu jetzt

Bücher

Kommunistische Bücher Sidebar 4

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies).